Beim autonomen Fahren unterscheidet man sechs verschiedene Autonomiestufen. Von Stufe 0, bei der noch alles manuell gesteuert werden muss, bis Stufe 5 – sprich Vollautomatisierung. Die meisten derzeit verfügbaren Autos sind mit Technik der Stufe 1 ausgestattet, mehr Automatisierung in Serienfahrzeugen ist aktuell noch die Ausnahme. Was ist Ihrer Erfahrung nach die größte Herausforderung bei der Entwicklung von Techniken, die autonomes Fahren möglich machen?
Die größte Herausforderung bei der Vollautomatisierung von Fahrfunktionen ist die Verschiedenartigkeit der Szenarien, die im Straßenverkehr auftreten. Am deutlichsten wird das im Stadtverkehr, wo neben den anderen Fahrzeugen eine große Zahl anderer Verkehrsteilnehmer anwesend ist, beispielsweise Fußgänger und Radfahrer. Es existieren viele unterschiedliche Fahrbahnarten und -kreuzungen, es gibt Linksabbieger und Parkplatzsucher, die sich teilweise deutlich anders verhalten als „normal“ fahrende Fahrzeuge und vieles mehr. Die Umwelt des Fahrzeugs im Stadtverkehr ist sehr abwechslungsreich im Vergleich zu Fahrsituationen außerhalb von Städten.
Es gibt heute bereits viele Situationen, in denen sich ein Fahrzeug komplett selbstständig bewegen kann. Ein gutes Beispiel dafür ist das Fahren auf der Autobahn. Diese Umgebung ist strukturisiert im Vergleich zum abwechslungsreichen Stadtverkehr. Auf der Autobahn kann bis auf Ausnahmen viel besser eingeschränkt werden, was an möglichen Szenarien auftreten kann. Das bedeutet, die Wahrscheinlichkeit, dass etwas „Unerwartetes“ auftritt, ist deutlich geringer als im Stadtverkehr, was das automatisierte Fahren in dieser Umgebung erleichtert. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen (Wetterbedingungen, Fahrbahnqualität, Fahrbahnmarkierungen, usw.), können schon heute auf der Autobahn große Distanzen mit automatisierten Fahrfunktionen zurückgelegt werden.
Außer Acht gelassen werden dann aber Situationen, die plötzlich auftreten und nicht dem „Erwarteten“ entsprechen. In solchen Fällen ist es schwierig, dass die Software die Situation richtig interpretiert und die richtigen Schlüsse daraus zieht, weshalb aktuell dann der Fahrer in die Pflicht genommen wird, der ständig eingriffsbereit am Steuer sein muss. Schlussendlich wird man sich damit abfinden müssen, dass die Software im selbstfahrenden Auto nahezu alle auftretenden Situationen im Straßenverkehr bewältigen kann, allerdings bei einem geringen Bruchteil an Situationen überfordert ist. Denkbar wäre dann, dass das Fahrzeug in so einer Situation einfach anhält und auf einen Befehl des Passagiers wartet. Nichtsdestotrotz wird das automatisierte Fahren die Sicherheit im Straßenverkehr erheblich steigern und zu einer Reduzierung von Personen- und Sachschäden führen.
Für die Streckenplanung und die Umfelderkennung verarbeitet Ihre Software in Sekundenbruchteilen Informationen aus GPS-Daten, Kamera, Lidar-System, Radar und Ultraschallsensoren. Wie viel „Deep Learning“ steckt in Ihrer Arbeit?
Aufgrund der Tatsache, dass erst die großen Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz den Entwicklungsboom selbstfahrender Fahrzeuge in dem Umfang ermöglichen, wie wir ihn seit einigen Jahren sehen, liegt auf der Hand, dass auch wir sehr stark darauf aufbauen. Künstliche Intelligenz erlaubt es uns, Unmengen an Daten, die man mit einem konventionellen Algorithmus nur sehr schwer oder gar nicht erfassen kann, zu analysieren und zu verarbeiten, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
In ihrer Frage erwähnen Sie konkret das sogenannte „Deep Learning“, was eine spezielle Klasse von Optimierungsmethoden künstlicher neuronaler Netze beschreibt. Dieses Verfahren eignet sich unter anderem gut zur Objekterkennung aus Bilddateien, weshalb es ein zentraler Bestandteil des Perception-Moduls ist. Grundsätzlich ist unser Forschungsziel, neben dem reinen Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz auch, die bisher bewährten „konventionellen“ Verfahren mit den auf Methoden der Künstlichen Intelligenz basierenden Ansätzen zu vergleichen. Momentan sind wir noch ganz am Anfang der Entwicklung, was den Einsatz Künstlicher Intelligenz in unserem Fahrzeug betrifft. Der Einsatz solcher Methoden wird sich später durch alle der drei bereits genannten Säulen der Software-Architektur ziehen und dort eine entscheidende Rolle spielen.
Das Perception-Modul wird überwiegend auf Methoden der Künstlichen Intelligenz basieren, vor allem zur Bildsegmentierung und Objekterkennung. Gleiches gilt für das Planning-Modul, sozusagen das „Gehirn“ des Fahrzeugs, das die Entscheidung trifft, welche Aktion jetzt ausgeführt werden soll. Vor allem das Planning-Modul muss die „Rennintelligenz“ widerspiegeln, die in einem konventionellen Rennen sowohl der Rennfahrer als auch dessen Renningenieure darstellen. Auch im Control-Modul, das hauptsächlich auf die etablierten Verfahren der Regelungstechnik zurückgreift, haben wir Ansätze aus der KI eingebettet. Damit erreichen wir, dass unsere Regelung ständig trainiert, dazulernt und sich selbst verbessert. Das führt dazu, dass das Fahrzeug mit jeder Runde ohne Zutun von außen besser und schneller über die Rennstrecke fahren können wird.
Angesichts der wachsenden Digitalisierung und Vernetzung von Fahrzeugen stellt sich beinahe zwangsläufig die Frage: Wie sicher kann autonomes Fahren sein? Stichwort Software-Manipulation...
Das Thema Sicherheit gegen Eingriffe von außen ist natürlich in der Serienentwicklung extrem wichtig, weil die potentielle Anzahl an betroffenen Fahrzeugen sehr groß ist, beispielsweise alle Fahrzeuge einer Modellreihe oder alle Fahrzeuge eines Herstellers. Für uns spielt dieses Thema im Moment eine geordnete Rolle. Sicherheit bei uns bedeutet, wie können wir Absichern, dass die Künstliche Intelligenz keine „falschen“ Entscheidungen trifft. Wir beschränken uns auf unser Fahrzeug und die Software-Funktionen, die darauf laufen. Das schließt das umfangreiche Gebiet der Security gegenüber Angriffen von außen bisher aus.
Solange wir nicht dazu „gezwungen“ sind, uns mit dem Thema intensiver zu beschäftigen, liegt der Fokus unserer Arbeit klar auf anderen Gebieten. Sollte es zukünftig im Rahmen eines Roborace-Events Challenges geben, die auf solche Security-Anwendungen abzielen, dann wäre das Thema der Software-Manipulation durch Dritte auch für uns hochrelevant. Ein Beispiel dafür wäre, das Fahrzeug der jeweils anderen Teams während der Fahrt zu hacken und die Software so zu manipulieren, dass das Fahrzeug langsamer fährt oder stehen bleibt. Solange solche Szenarien nicht der Fall sind, werden wir in dieses Gebiet nicht weiter als bisher einsteigen.
Letztendlich wird man – im Hinblick auf Straßenfahrzeuge – akzeptieren müssen, dass kein System vollkommen sicher gestaltbar ist. Es werden einzelne erfolgreiche Angriffe auf Fahrzeuge in Kauf genommen werden müssen – man wird sie nicht verhindern können. Wichtig ist, dass ein Massenangriff, zum Beispiel auf eine ganze Modellreihe eines Herstellers, unterbunden werden kann.
Fahrer im DevBot-Cockpit (Quelle: Roborace)